Die Entwicklungsgeschichte der CO2 Ampel

"Wir konnten nirgendwo abgucken, wir mussten alles selber entwickeln"

„Wir konnten nirgendwo abgucken, wir mussten alles selber entwickeln“

Das Weseler Unternehmen ISIS IC gilt als Erfinder der CO2 Ampel. Die Entwicklungsgeschichte des smarten Geräts liest sich im Rückblick so spannend wie ein Krimi. Eine Studie spielte dabei eine ganz entscheidende Rolle.

Was er dachte, als er die ersten Meldungen über die mysteriöse Lungenkrankheit las, die sich in China um die Jahreswende 2019 / 2020 häuften? Das weiß Dirk Unsenos nicht mehr genau. In jedem Fall schenkte Unsenos, dessen Unternehmen ISIS IC auf Funk- und Mobiltechnik sowie Assistenzsysteme spezialisiert ist, den anfangs noch kleinen Berichten keine große Beachtung. Das änderte sich, als das Virus erst nach Europa überschwappte und schließlich Ende Januar 2020 auch in Deutschland ankam. „Da habe ich gespürt, dass eine Lawine auf uns zukommt.“

Die Corona-Lage verschärft sich in den folgenden Wochen beinahe täglich. Im Fokus steht unter anderem die Frage, wie sich das heimtückische Virus überträgt. Wissenschaftler gehen zunächst davon aus, dass die Übertragung durch eine Tröpfchen- und Kontaktinfektion erfolgt. Kontaktverbote sind die Folge. Unsenos erinnert sich noch gut an ein Treffen – natürlich auf Abstand, wie es zu dieser Zeit geboten ist – mit einer Freundin, die als Lehrerin arbeitet. Während ihres Gesprächs bekommt die Freundin einen Anruf und wird informiert, dass ihre Schule schließt. „Da war ich sprachlos, so etwas hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.“

Die Schulschließungen schmerzen den ehemaligen Lehrer – und spornen seinen Forschertrieb an

Das Land liegt in Schockstarre in diesen Tagen, die Forschenden suchen fieberhaft nach neuen Erkenntnissen zu den Übertragungswegen des Virus. Und auch Unsenos beschäftigt sich intensiv mit dem Thema. Als ehemaligen Lehrer treibt ihn vor allem die Frage um, wie man das Infektionsrisiko der Menschen reduzieren und den Schulunterricht wieder möglich machen kann. „Dass Kinder alleine lernen müssen und nicht zur Schule gehen können, hat mich unheimlich geschmerzt“, sagt Unsenos. Zugleich stachelte es aber auch seinen Forschertrieb an.

Mittlerweile ist sich die Wissenschaft weitgehend einig, dass die Übertragung der Corona-Virus auch über Aerosole erfolgt, also über Schwebeteilchen, die stundenlang in der Luft hängen können. „Als technisch interessierter Mensch habe ich mich natürlich sofort gefragt, ob es keine Sensoren gibt, die Aerosole nachweisen können“, sagt Unsenos. Die gibt es. Nur kosten sie so viel wie ein Kleinwagen. „Das war also keine Lösung, die für Klassenräume denkbar wäre.“

In dieser Situation veröffentlicht Prof. Martin Kriegel, der Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts an der Technischen Universität Berlin, im Juli 2020 eine wegweisende Studie, in der er zeigt, dass die CO2-Konzentration im Raum ein Indikator für das Infektionsrisiko ist. Sie ist der Gamechanger, wie man neudeutsch sagt. „Keine Stunde, nachdem diese Studie veröffentlicht wurde, haben wir ein erstes Treffen gehabt, in dem der Gedanke einer CO2-Ampel Gestalt annahm.“ Bei ISIS IC arbeitet nämlich gerade ein Bachelor-Student, der sich intensiv mit dem Thema „CO2-Gefährdung im Schlafzimmer“ befasst und untersucht, ob es eine technische Möglichkeit gibt, dass sich die Fenster automatisch öffnen, wenn die Kohlendioxid-Konzentration so stark ansteigt, dass der Schlaf nicht mehr erholsam ist. Deswegen haben Unsenos und sein Team unter der Leitung von Timo Peraglie sich intensiv mit CO2-Sensoren befasst.

Das Gefühl, an etwas Großem zu arbeiten, trägt Unsenos und sein Team durch die arbeitsreiche Zeit

Nun geht alles ganz schnell. „Uns war klar, dass die CO2-Messgeräte, die es damals schon gab, keine tragbare Lösung für Klassenräume wären, weil die ständig wechselnden Zahlen die Schülerinnen und Schüler ablenken. Zugleich wollten wir nicht nur Werte messen, sondern sie sofort interpretieren hinsichtlich ihres Infektionsrisikos.“ Die Idee der CO2 Ampel für das Klassenzimmer ist geboren.

Doch nun fängt die Arbeit erst richtig an. Wie könnte eine Ampel vom Design her aussehen? Wie kommen wir an Sensoren? Wo können wir unsere Ampeln fertigen lassen? Es gibt anfangs viel mehr Fragen als Antworten. Aber das Gefühl, an etwas Großem zu arbeiten, trägt das gesamte Entwicklungsteam durch die intensiven Wochen. „Man muss sich immer vor Augen halten, dass wir ja nirgendwo abschauen konnten, weil es noch keine CO2 Ampeln für Klassenräume gab“, sagt Unsenos.

„Wir haben geprüft, mit welchen bestehenden Technologien und eigenen Entwicklungen der letzten Jahre wir zeitnah zu einer erfolgversprechenden Lösung kommen können“, erklärt Timo Peraglie. Ziemlich schnell steht der erste Prototyp, der in einer Schule in Wesel getestet wird. Das Echo von Lehrkräften und Schülerschaft ist überwältigend, die Medien springen auf das Thema an, Dirk Unsenos und Timo Peraglie sind jetzt gefragte Interviewpartner.

Obwohl die CO2 Ampel, die später den Namen Conny bekommen wird, noch nicht auf dem Markt ist, stapeln sich schon die Anfragen. Das Gefühl, als die ersten CO2-Ampeln ausgeliefert werden, wird Dirk Unsenos nie vergessen. „Das war eine Mischung aus großem Stolz, aber auch Erleichterung, dass alles geklappt hat und wir den Menschen helfen können.“

Und heute? Kommt die CO2-Ampel Conny – den Namen haben ihr Schülerinnen und Schüler gegeben – nicht nur in Klassenräumen zum Einsatz, sondern auch in der Verwaltung, in der Gastronomie, in der Hotellerie oder im Einzelhandel. Bis in die Tagesschau hat Conny es geschafft. Und, was das Wichtigste ist, sie hat unzähligen Menschen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt und ihr Infektionsrisiko gesenkt. „Wenn mich Menschen anrufen und mir erzählen, wie viel unsere Conny dazu beigetragen hat, dass sie wieder mit einem guten Gefühl in Gemeinschaft sein können, dann ist das der schönste Lohn für all die Mühen, die wir in der Entwicklung hatten und immer wieder haben“, sagt Dirk Unsenos.

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